Archive …wie eine Verlängerung der Erinnerung …

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Was am Koalitionsbeschluss alles nicht passt

Das Bleiberecht+Verschärfungen im Ausländergesetz ist also durch die Koalition, und der Plan ist, dass es noch vor Ostern im Bundestag abgenickt werden soll. Es gab ja mittlerweile schon einige Kritik von verschiedenster Seite, wir haben da schon einmal darüber geschrieben. Hier soll die Kritik aber nocheinmal zusammengefasst werden, und wir werden auch Beispiele dazu geben, denn Paragraphen sind das eine, der Einschnitt in das Leben von Menschen, die sie bedingen, das andere.

In einer gemeinsamen Presseerklärung haben PRO ASYL, amnesty international, Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk der EKD, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Neue Richtervereinigung, Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen AnwaltVerein und die die Rechtsberaterkonferenz der mit den Wohlfahrtsverbänden und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zusammenarbeitenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte den Gesetzentwurf zur “Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU” als flüchtlingsfeindlich, rückwärtsgewandt und integrationshemmend gewertet. Die Organisationen fordern die Regierung auf, den Gesetzentwurf nicht anzunehmen und zur Überarbeitung an das Bundesinnenministerium zurückzuverweisen. Dazu gibt es auch eine juristische Stellungnahme (Kurz– bzw. Langfassung).

Außerdem gibt es ein Interview mit dem Geschäftsführer von PRO ASYL in der Frankfurter Rundschau:

Die Politik hat das Problem nicht gelöst, sondern vertagt. Der Gesetzgeber hat gekniffen, indem er jetzt eine einmalige Regelung getroffen hat. Zwanzig, vielleicht dreißigtausend Menschen werden durch den Kompromiss einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen. Aber ich fürchte, wir werden in zwei, drei Jahren sehen, dass viele keine Chance auf eine Aufenthaltsverfestigung hatten. Diese Menschen sind dann noch länger hier. Will man sie dann etwa abschieben? Die Politik wird also in einigen Jahren erneut vor dem gleichen Problem stehen.

Leider geht er nicht auf die Verschärfungen im Ausländergesetz ein. Die Kritik am Bleiberecht ist natürlich 100% richtig, aber es scheint, dass das Bleiberecht in all seiner Unzulänglichkeit das Zuckerl ist, mit denen die Verdauung der bittere Pille der Veschärfungen ermöglicht werden soll.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland hat den Gesetzesentwurf kritisiert.

Nun also zum Bleiberecht, den Verschärfungen und deren praktischen Auswirkungen.

1. Stichtagsregelung im Bleiberecht
Durch die Stichtagsregelung bekommen nur jene Menschen eine Chance, die am 1. Juni 2007 sechs Jahre als Familie bzw. acht Jahre als Alleinstehende in der BRD gewesen sind. Das bedeutet für alle, die danach gekommen sind, einen Ausschluss vom Bleiberecht. Das Problem wird dadurch nur vertagt, in ein paar Jahren ist die Situation wieder so wie heute. Notendig ist aber eine gesetzliche Lösung, die den Zustand der Duldung nach einer Frist in eine Aufenthaltserlaubnis umwandelt. So könnten auch später Eingereiste in einen Aufenthalt hineinwachsen und die Duldung als Pseudoaufenthaltstitel wäre abgeschafft.

Beispiel: Awa M. kam am 17. September 2001 nach Deutschland, nachdem sie aus Kamerun geflohen war, wo ihr Leben in Gefahr war. Zwei der Kinder gehen in die 9. Klasse, eins in die sechste und das jüngste Kind, das in Deutschland geboren wurde, besucht den Kindergarten. Wäre sie 3 Monate früher gekommen würde sie ein Bleiberecht erhalten, jetzt droht ihr die Abschiebung – angesetzt ist der 4. April 2007. Die Kinder verlieren ihren Vater, der eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland hat, ihre Freunde und müssen in ihre “Heimat” Kamerun zurück- eine Heimat die sie nicht kennen, da sie sind in Deutschland aufgewachsen sind.

Besonders absurd ist auch der Fall von Herr A. aus Berlin. Er war vom alten Bleiberecht ausgeschlossen, weil er erst am 18.11.1998, also nur einen Tag nach dem alten Stichtag 17.11.1998, eingereist ist. Keine Rolle spielte, das er seit Jahren hier integriert ist, keine Straftaten begangen hat und selber für seinen Lebensunterhalt sorgt. Für ihn ist das neue Gesetz gut, der Stichtag wurde auf den 1. Juli 1999 verlegt. Aber auch mit dem neuen Stichtag wird es wieder solche Fälle geben.

2. Jugendliche in Schule und Ausbildung
55.000 der 174.000 Geduldeten sind Minderjährige. Viele Jugendlichen bemühen sich sehr, sich in Deutschland zu integrieren, ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflichten zu erfüllen. Dies wird ihnen jedoch durch eine fehlende rechtliche Perspektive erschwert.

Beispiel: Rodrick M.-S. ist 18 Jahre und macht gerade seine Ausbildung zum Bäckereifachverkäufer. Obwohl er gut deutsch spricht und seine Vorgesetzten sehr zufrieden mit ihm sind, weiß er nicht, ob er nach seinem Abschluss in der Bäckerei weiterarbeiten darf, oder ob er irgendwann, wenn sein Asylantrag endgültig abgelehnt wurde, abgeschoben wird. Zurück in den Kongo, von wo er als Minderjähriger in 2004 alleine nach Deutschland floh. Das Bleiberecht bietet gerade für unbegleitete Minderjährige wie ihn keine Perspektive, er hätte vor dem 17.11.1999 eingereist seien müssen, also mit elf Jahren.

3. Straftaten als Ausschluss vom Bleiberecht
Wer zu insgesamt 50 Tagessätzen verurteilt ist, bzw. 90 Tagessätze bei Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz, kann kein Bleiberecht erhalten. Kleinkriminalität wie Schwarzfahren ist nicht ausgenommen. Viele Verurteilungen resultieren aus einem fehlenden Pass oder weil ein Besuch von Freunden in einem anderen Bundesland als Verstoß gegen die Residenzpflicht geahndet wurde. Diese Menschen stellen kein Sicherheitsrisiko dar. Wer verurteilt wurde, hat seine Strafe erhalten und darf nicht doppelt bestraft werden.

Beispiel: Amal M. ist 24 Jahre und seit 20 Jahren in der BRD. Sie macht im Moment eine Ausbildung zur Wirtschaftsassistentin. Als Geduldete erhielt Sie jahrelang nur 40 Euro Taschengeld und konnte sich keine Fahrkarten leisten. Da sie zwei Mal wegen Schwarzfahrens verurteilt wurde, erhält sie kein Bleiberecht. Ist sie wegen Schwarzfahrens eine “kriminelle Ausländerin”, die kein Recht auf eine Perspektive in Deutschland hat?

4. Generalverdacht gegen alle IrakerInnen
Schon bei dem Gezerre um das IMK-Bleiberecht wurde klar, dass manche Bundesländer, besonders Bayern, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, gezielt vom Bleiberecht ausschliessen wollen. Dies bezog sich damals auf die IrakerInnen, die als generelles Sicherheitsrisiko eingestuft wurden. In den IMK-Beschluss hat es diese Regelung nicht geschafft, aber durch die Hintertür ist diese Regelung wieder im Bundesgesetz aufgetaucht und wurde auch akzeptiert. Warum das falsch ist, erklärt ein Flugblatt sehr eloquent. In ihm wird übrigens zu einer Demonstration in München am 31. März aufgerufen, organisiert von irakischen Flüchtlingen.

5. Der Ehegattennachzug soll vom Regelfall zum Sonderfall werden
Neu ist: Die Nachziehenden müssen Deutschkenntnisse bereits im Herkunftsland erwerben und sie vor der Einreise nachweisen. Heiraten mit Menschen aus armen Ländern sind damit kaum noch möglich: In den meisten Staaten werden Deutschkurse, wenn es sie gibt, nur in den Hauptstädten oder in größeren Städten angeboten. Für Menschen vom Land oder aus kleineren Städten besteht kaum eine Möglichkeit Sprachkenntnisse zu erwerben. In der Praxis ist der Erwerb von Sprachkenntnissen – realistisch betrachtet – nur für Angehörige der großstädtischen Oberschicht möglich. Da ein Rechtsanspruch auf einen Aufenthalt durch Ehegattennachzug wegfällt, bedeutet das im Fall einer Ehe in Deuschland: Das Visumsverfahren muss neu durchlaufen werden, was sogar eine Abschiebung möglich macht.

Beispiel: Eine Frau aus Vietnam, die gerade ihr Asylverfahren durchführt, kann noch kein Deutsch. Sie lernt einen Vietnamesen mit Aufenthalt kennen. Sie verlieben sich und heiraten. Hätte die Frau früher einen Aufenthalt bekommen und dann Integrationskurse zum Deutschlernen besucht, wird ihr nun ein Aufenthalt versagt. Sie müsste ein Heiratsvisum beantragen, welches jedoch bis zur Erteilung keinen Aufenthalt beinhaltet. Daher müsste die Ausländerbehörde sie abschieben lassen. In Vietnam müsste sie dann Deutsch lernen, ihre Abschiebung bezahlen und dürfte dann wieder einreisen. Würde die Vietnamesin jedoch einen Deutschen heiraten, könnte sie bleiben!

Bei Heirat mit Deutschen soll auch der Lebensunterhalt des/der Deutschen gesichert seien. Für Sozialhilfeempfänger ist es damit nicht mehr möglich, Ausländer ohne Aufenthaltstitel zu heiraten und dann auch zusammen zu leben. Denn Ehen zwischen AusländerInnen ohne Aufenthalt (z.B. Geduldete) und Sozialhilfeempfängern führen nicht mehr zu einem Aufenthaltstitel und schützen auch vor einer Abschiebung nicht. Das heißt, das Menschen durch Abschiebung von ihren Ehepartner getrennt würden.

Beispiel: Eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern erhält ergänzende Sozialhilfe, sie heiratet einen Mann mit Duldung. Nach altem Recht würde der Mann einen Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis erhalten und so die Möglichkeit haben, die Familie aus der Sozialhilfe herauszuführen. Mit der Änderung, würde er, sobald die Ehe geschlossen ist, keinen Aufenthalt kriegen und müsste ein Heiratsvisum beantragen. Da das Visumsverfahren keinen Aufenthalt rechtfertig, könnte er abgeschoben werden bzw. müsste ausreisen und dürfte erst wieder nach Deutschland, wenn die Frau keine Sozialhilfe mehr erhält.

6. Weniger Legalisierungs-Chancen für Geduldete
Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht an der eigenen Abschiebung wird zum Ausweisungsgrund. Damit können die Ausländerbehörden dem Großteil der Geduldeten jeden Aufenthaltstitel, der beispielsweise durch Heirat oder eine Altfallregelung erteilt werden könnte, auf Dauer verweigern. Da mangelnde Mitwirkung nur schwammig definiert ist, hängt ein echter Ausweisungsgrund, der jede Legalisierung des Duldungsstatus verbietet, nun auch noch von dem good-will einzelner SachbearbeiterInnen oder Ausländerbehörden ab.

Beispiel: Zwischen der ausreisepflichtigen Iranerin Nasrin M. und der Ausländerbehörde besteht ein Streit über die Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung. Frau M. hält die Anforderungen der Botschaft für unzumutbar. Sie soll zum einen Fotos mit Kopftuch vorlegen, was sie als Atheistin ablehnt. Ausserdem verlangt die Botschaft Angaben über ihre Ausreisegründe und über ihren Ausreiseweg. Die Ausländerbehörde verfügt die Ausweisung. Weil Frau M. schon längst nicht mehr arbeiten darf, hat sie kein Geld für einen Anwalt und lässt den Bescheid rechtskräftig werden. Als sie ein Jahr später Mutter eines deutschen Kindes wird, kann sie keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, da eine Ausweisung jeden Rechtsanspruch auf Aufenthalt zunichte macht.

7. Zurückweisungshaft und fehlender Rechtsschutz
Aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (“Verstoß gegen Standards”, SZ vom 15.3.07, Seite 6) geht folgendes hervor:

Der Entwurf schaffe neue Möglichkeiten, Asylbewerber “rechtsstaatswidrig” zeitlich unbegrenzt festzusetzen, wenn der Verdacht bestehe, dass sie aus einem anderen EU-Staat nach Deutschaldn eingereist seien, sagte Burkhardt [Geschäftsführer Pro Asyl, d.V.]. Diese geplante Zurückweisungshaft verstoße gegen internationale Standards, wonach Flüchtlinge während des Asylverfahrens generell nicht in Haft genommen werden sollen. Zudem werde den Flüchtlingen vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungen in andere EU-Staaten verwehrt. Vor allem bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Familienangehörigen laufe die Regelung dem Ziel der Dublin-II-Verordnung der EU [unser Link, d.V.] zuwider, Familien zusammenzuführen.

8. Kein Schutz vor “willkürlicher Gewalt” im Herkunftsland
Weiter ist im Artikel der SZ zu lesen:

Zudem vermissen die Verbände die Umsetzung einer Regelung aus der EU-Richtlinie, die Flüchtlingen Schutz zusagt, wenn sie in ihrem Herkunftsland durch “willkürliche Gewalt” während eines bewaffneten Konflikts bedroht sind. Damit seien Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten in Deutschland weiterhinnur unzureichend gegen Abschiebungen geschützt. Dies sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Auch beim Schutz vor religiöser Verfolgung bleibe Deutschland bewusst hinter den EU-Vorgaben zurück, hieß es. Nicht berücksichtigt habe die koalition zudem die Verpflichtung, Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen den Zugang zu erforderlicher medizinischer und psychologischer Betreuung zu gewähren.