Archive …wie eine Verlängerung der Erinnerung …

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Gastronomie

Die Ausbeutung von MigrantInnen in der Gastronomie wurde uns von vielen “ExpertInnen” als stereotypisches Beispiel genannt, es scheint darüber hinaus gerade in diesem Bereich ein gewisses gesellschaftliches Problembewusstsein vorhanden zu sein. So begegnen einem auch im Alltagsdiskurs über die Ausbeutung von Illegalisierten und MigrantInnen immer wieder die Beispiele “Pizzaria”, “Dönerbude” und “China-Restaurant/Imbiss”. Wir vermuten, die öffentliche Aufmerksamkeit liegt zu einem gewissen Maße an der öffentlichen Erfahrbarkeit der sinkenden Preise in diesem Sektor sowie allgemein der Tatsache, dass viele Menschen überhaupt nur in der Gastronomie mit von ihnen als Ausländer wahrgenommenen MigrantInnen in Kontakt kommen. Insofern sind manche Aussagen über vermeintlich illegale und ausgebeutete Angestellte im örtlichen Imbiss sicherlich auch als rassistische Klischees kritisch zu hinterfragen. Dennoch gibt es freilich deutliche Elemente der Ausbeutung und auch illegalisierte Beschäftigungsverhältnisse in diesem Sektor. Einen beachtlichen Teil hiervon möchten wir als prekäre Selbstausbeutung bezeichnen. So sprachen wir etwa mit einem Gastarbeiter, der bereits seit 25 Jahren dauerhaft in Deutschland beschäftigt ist und mit dieser Arbeit ein gutes Auskommen für sich und seine ebenfalls berufstätige Frau findet. Allerdings war sein Sohn bereits 12, als er nach Deutschland kommen konnte und konnte damals kaum Deutsch. Deshalb schaffte er auch nur einen schlechten Hauptschulabschluss und fand keine Lehrstelle. Sein Vater kaufte daraufhin ein Ladenlokal, welches der Sohn als Pizza-Express betreibt, der allerdings kaum Geld abwirft, obwohl am Wochenende beide Elternteile quasi in Vollzeit mitarbeiten. Seit drei Jahren arbeitet außerdem die Frau des Sohnes den ganzen Tag über in der Küche. Die beiden haben geheiratet, ohne sich besonders gut zu kennen, was in ihrem Heimatland durchaus üblich ist. Ohne diese zusätzliche Arbeitskraft, hätte der Laden schließen müssen, so der Vater. Dies ist zwar kritikwürdig, aber keineswegs illegal, da es sich nicht um eine Zwangsheirat handelte. Neben dem Ehrgeiz “etwas aus sich zu machen” der bei vielen MigrantInnen besonders stark ausgeprägt ist, spielen also schlechte Bildungs- und Berufschancen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung migrantischer Familienbetriebe. Die neue Bleiberechtsregelung, die Menschen mit Duldung zwar den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, zugleich aber eine Aufenthatsgenehmigung von einer Beschäftigung abhängig macht, wird das Entstehen solcher Betriebe sicherlich weiter befördern.
Die Arbeitszeiten erreichen hier oft zwölf Stunden, während der durchschnittliche Gewinn an einem Tag unter 50 Euro liegen kann. Ein Auskommen bieten diese Betriebe häufig nur deshalb, weil sie zugleich den Lebensraum der Beschäftigten darstellen. So hatte das von uns beschriebene Paar in seiner Wohnung weder eine Küche, noch einen Telefonanschluss. Das Leben spielt sich am Arbeitsplatz ab. Es gibt sicherlich auch andere Beispiele, ganze Ketten erfolgreicher Imbissbuden, deren Besitzer allenfalls noch die Buchhaltung oder den Einkauf regeln.

Wir sprachen mit einer Gruppe junger Männer, die schon in verschiedenen Imbissbuden gearbeitet haben. Dabei sei es üblich, dass die Angestellten auf 400-Euro-Basis arbeiten, auch wenn sie eine unbegrenzte Arbeitserlaubnis haben. Wer mehr arbeiten will, kann dies tun, dann aber zu einem geringeren Lohn und ohne Sozialabgaben. Ein Funktionär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten erklärte uns gegenüber, dies sei das dominierende Problem überhaupt in diesem Sektor, unabhängig von Herkunft, Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis.
Falls es zu einer Inspektion kommt, lässt sich nicht nachweisen, dass die Angestellten länger gearbeitet haben. Unsere Gesprächspartner zeigten in einigen Fällen Verständnis für die Löhne zwischen vier und acht Euro, die für eine solche Beschäftigung gezahlt werden, wenn der Betrieb offensichtlich nicht viel abwarf. In anderen Fällen sprachen sie von “Ausbeutung”. Diese Wahrnehmung hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Arbeitgeber nach außen, z.B. durch sein Auto, einen entsprechenden Status suggeriert. Die Arbeitsbedingungen seien in den Stuttgarter Imbissen wären bekannt, würden aber nicht in das Konsumverhalten der Leute einfließen:

“Auch wir selbst essen da, wo es uns schmeckt und nicht dort, wo die Arbeitsbedingungen gut sind”.

Von anderer Stelle wurden uns zwei Fälle von Lohnbetrug berichtet. Einmal handelte es sich um eine Frau, die nach eigenen Angaben den selben Lohn von acht Euro pro Stunde vereinbart hatte, den die anderen (männlichen) Mitarbeiter auch bekommen. Am Ende wurden ihr nur sechs Euro pro Stunde verrechnet, mit der Begründung, weil sie neu sei, hätte sie nicht so schnell gearbeitet, wie die anderen. Als sie sich beschweren wollte, wurde sie darauf hingewiesen, dass sie keine Arbeitsgenehmigung hätte. Auch die andere Frau hatte ohne Arbeitsgenehmigung gearbeitet, für einen Verwandten, der einen Monat weg war. Sie erhielt praktisch kein Geld, später wurde ihr gesagt, ihr Verwandter hätte ihren Lohn bekommen und sie solle ihr Geld von ihm holen.
Ein anderer junger Mann berichtet uns, er sei auf eine Einladung einer Familie nach Deutschland gekommen, um seine Freundin zu besuchen, die er heiraten wollte. Seine Freundin hatte noch bei ihrer Familie gewohnt aber ihre Eltern wollten ihn nicht bei sich wohnen lassen, sorgten aber regelmäßig dafür, dass sein Visum verlängert wurde. Sie vermittelten ihn an einen Bekannten, der einen größeren Gastronomiebetrieb hatte. Dieser ließ ihn mit einem zweiten Mann in einem Zimmer wohnen, wenn er jede Nacht sein Restaurant putzte. Sein Zimmergenosse musste für die Miete vier Stunden täglich arbeiten. Sie konnten zwar umsonst essen, erhielten aber kein Bargeld. Nach acht Monaten war er sich sicher: “die wollten mich verarschen, mit der Heirat, damit ich billig für sie arbeite” und reiste aus. Mittlerweile ist er durch die Osterweiterung EU-Bürger und lebt wieder in Baden-Württemberg.
Viele auch große und angesehene Gastronomiebetriebe greifen auf MigrantInnen mit Duldung oder Studentenvisa als Putzkräfte zurück. Wie uns berichtet wurde auch einer der angesehensten Kulturbetriebe Stuttgarts: Das SI-Centrum. Dies ist vor allem deshalb möglich, weil für die Arbeit, die oft nachts und ohne Aufsicht ausgeführt wird, eine gewisse Arbeitsszeit veranschlagt wird, die aber praktisch nicht annähernd ausreicht. Beim “Vorstellungsgespräch” wird das Aufgabenfeld definiert und dafür eine Zeit genannt, die bezahlt wird.

“Wenn Du den Job brauchst, dann sagst Du dann nicht: da brauche ich mindestens zwei Stunden mehr dafür. Deshalb habe ich halt meinem Freund jede Nacht Putzen geholfen. Zusammen haben wir es in den vier Stunden geschafft, die ausgemacht waren – für zehn Euro die Stunde. Ein unverschämter Lohn, aber er bekam nichts anderes und alleine konnte ich uns beide nicht aushalten.”

Eine weitere Person bemühte sich gerade um eine Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung, während wir sie befragten. Hierfür muss die Person nachweisen, dass sie ihren Unterhalt selbsständig bestreiten kann und keine Sozialleistungen in Anspruch nimmt. Die Person erhielt bis kurz vor dem Interview aufgrund vorangegangener Beschäftigung als Putzkraft Arbeitslosengeld I, das keine Sozialhilfe darstellt und somit den Ansprüchen genügt. Allerdings erhielt sie nach eigenen Angaben alleine in einem Monat 14 Briefe von der Arbeitsagentur und musste sich laufend bewerben. Zusätzlich durch die Hoffnung bewegt, hierdurch bei der Ausländerbehörde einen besseren Eindruck zu machen, nahm sie schließlich eine Beschäftigung bei einer Kette von Schnell-Restaurants an. Für diese muss sie fünf mal in der Woche 20km mit öffenlichen Verkehrsmitteln (Zug und Bus) zur Arbeit fahren. Die offizielle Arbeitszeit beträgt täglich vier Stunden, was einen Bruttolohn von 800 Euro bedeutet. Es wird jedoch erwartet, dass die Angestellten eine halbe Stunde früher kommen und nach der offiziellen Arbeitszeit noch eine halbe Stunde zum “Aufräumen und Putzen” bleiben. Um die Stelle antreten zu können musste sich die Person auf eigene Kosten ein gesundheitliches Gutachten ausstellen lassen und Sicherheitsschuhe kaufen. Das Tragen der Uniform der Restaurantkette empfindet die Person als demütigend. Für reine Schickane hält sie die Tatsache, dass sie für jede Zigarettenpause im Büro um Erlaubnis fragen muss, obwohl “die dort keine Ahnung haben, was gerade im Laden los ist”. Das einzige Raucherzimmer befindet sich neben dem Büro der Geschäftsleitung. Eine weitere Kritik an den Arbeitsverhältnissen bestand in der Aufgabenzuweisung:

“Du must alles wissen und können, aber Du hast keinen Arbeitsbereich, den Du dir selbst gestalten könntest. Alle halbe Stunde kommt jemand und sagt: tue dies und tue jenes, geh jetzt darüber, in die Küche, an den Schalter, ins Lager. Gestern habe ich eine Stunde Zwiebeln schneiden müssen. Als würde ich nicht selbst sehen, wann die Zwiebeln ausgehen.”

Über ausbeuterische Verhältnisse in Restaurantketten (Systemgastronomie) wurde uns mehrfach berichtet, allerdings meist aus zweiter Hand. Gängige Praxis scheint es hier jedenfalls zu sein, die Leute nur für die Probezeit anzustellen. Das Angebot an Arbeitskräften scheint hierfür ausreichend zu sein, eine Situation, die sich durch die Bleiberechtsregelung sicher noch verschärft.
Am Ende dieses Abschnitts möchten wir noch klarstellen, dass wir zwar durchaus viele und auch extreme Beispiele für Ausbeutung von Menschen mit prekärem Aufenthalts- und Arbeitsrecht in der Gastronomie gefunden haben, nach diesen aber auch intensiv suchen mussten – wesentlich intensiver, als wir das angenommen haben. Die schlechten Arbeitsbedingungen in diesem Sektor betreffen meist deutsche Arbeitnehmer, die genauso auf 400 Euro Basis arbeiten, in derselben Weise. Dass Menschen in kleinen oder auch großen Gastronomiebetrieben ganz ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis arbeiten, scheint äußerst selten vorzukommen. Dies mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass das Risiko, im öffentlichen Raum kontrolliert zu werden, erheblich größer ist, als das bei der Arbeit in privaten Haushalten kontrolliert zu werden. Auch wurde uns persönlich in keinem anderen Sektor von Kontrollen der FKS (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) des Zolls berichtet (auf dem Bau kommen sie sicherlich auch vor, hier hatten wir aber sehr wenige persönliche Kontakte). Hinweise auf eine entsprechende Geschäftsstrategie, wie sie gelegentlich – insbesondere für asiatische Restaurants – angenommen werden, konnten wir keine finden. Unsere Erfahrungen legen eher die Vermutung nahe, dass in der Gastronomie irreguläre Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere 400-Euro-Jobs, für die tatsächlich mehr gearbeitet und bezahlt wird, insgesamt weit verbreitet ist, dass sich Betriebe, deren Geschäftsführung einen Migrationshintergrund haben, aber überdurchschnittlich oft mit Kontrollen konfrontiert sehen.