Dankbarkeit gegenüber den Arbeitgebern
Viele, deren Arbeitsverhältnisse alles andere als gut waren, haben erstaunlich positiv über ihre Arbeitgeber gesprochen. Dies gilt selbst für einen Fall, der allein gegen Unterkunft und Verpflegung in der Gastronomie tätig war:
“Ich habe zu diesem Zeitpunkt auch nichts andere als eine Unterkunft gesucht, wenn Ihr überlegt, vielen Menschen bleibt von ihrem Lohn nichts übrig, wenn sie Miete und Essen bezahlt haben. Ich habe dafür nicht den ganzen Tag arbeiten müssen”.
Auch im Bereich der Reinigungsdienstleistungen stießen wir auf entsprechende Haltungen, selbst nachdem der Lohn mehrfach vorenthalten wurde. Ein Betroffener begründete seinen mäßigen Groll gegen seinen Arbeitgeber damit, dass dieser sich zuvor intensiv um die Arbeitsgenehmigung bemüht hatte. Er war zweimal mit dem Betroffenen zur Arbeitsagentur und zuletzt sogar auf die Ausländerbehörden mitgegangen. In mehreren Fällen hatten die Angestellten von Reinigungsdienstleistern durchaus Verständnis dafür, dass ihnen der Lohn nicht ausbezahlt wurde, da sie Einblick in die finanzielle Lage ihres Arbeitgebers zu haben glaubten. Von manchen wurde sogar angenommen, sie hätten ihr Unternehmen nur gegründet, um anderen MigrantInnen eine Beschäftigung beschaffen zu können. Tatsächlich hat eine der Personen, deren Leidensweg zwischen Sozialamt, Arbeitsagentur und Ausländerbehörde wir intensiver verfolgt haben, selbst zwischenzeitlich solche Pläne gehabt. Sie wurden ihm von einem Angestellten eines größeren städtischen Betriebes nahegelegt, bei dem er sich beworben hatte. Auch hier war es trotz der Bemühungen des potentiellen Arbeitgebers zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, eine Arbeitsgenehmigung zu erwirken. Daraufhin machte der Gebäudeverwalter den Vorschlag, er solle sich selbstständig machen, Arbeit für ihn gäbe es genug. Mit leuchtenden Augen hoffte der Betroffene uns gegenüber:
“Dann kann ich meine ganze Familie mit Arbeit versorgen und sie bekommen alle Aufenthalt”.
Daraus wurde nichts. Gerade im Reinigungsbereich kommt es aber tatsächlich häufig vor, dass sich Menschen aus prekären Verhältnissen selbst kurzfristig selbstständig machen und Dritte einstellen und selbst zum Arbeitgeber werden. Wir erfuhren beispielsweise von einem Türken, der über die Sommerferien zahlreiche Aufträge erhielt, Schulen gründlich zu reinigen und hierfür mehrere Menschen mit Duldung einstellte. Nach drei Monaten existierten dann keinerlei Aufträge mehr.
Über den Inhaber eines großen Betriebes, der Oliven und sonstiges Gemüse aufbereitet, bekamen von einem ehemaligen Mitarbeiter folgendes zu hören:
“Er ist ein Kapitalist, aber seine Arbeiter haben ihn mindestens so ausgenutzt wie er sie”.
Hintergrund sei folgender: Der Unternehmer habe zwar nie Menschen ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt, dafür aber viele Menschen mit Duldung, um deren Arbeitserlaubnis er sich intensiv bemüht hätte, viele hätten “ihm das nicht gedankt” und daraufhin schnell die Arbeitsstelle gewechselt (falls Ort und Art der Beschäftigung nicht in der Duldung vermerkt wurde, worauf der Arbeitgeber hinwirken kann). Auch habe er oft sehr alte Familienmitglieder oder solche mit sehr schlechten Sprachkenntnissen auf Bitte seiner Angestellten eingestellt, damit sie ein Auskommen haben. Gerade innerhalb von Familien, deren Mitglieder oft sehr unterschiedliche Status und Bildungsniveaus haben, kommt es oft vor, dass plötzlich (verhältnismäßig) viel Geld benötigt wird, für Rechtsanwälte, medizinische Behandlung oder Familienangehörige, die sich im Ausland befinden. Auch in solchen Fällen habe besagter Arbeitgeber, das haben wir von mehreren Seiten gehört, oft beträchtliche Vorauszahlungen geleistet, die er oft nicht zurückerhalten habe. Der Bedarf nach Geld ist aufgrund von Arbeitsverbot, prekärer Beschäftigung, dem Bedarf nach anwältlicher Beratung und fehlender sozialer Absicherung in diesen Kreisen allgegenwärtig und existenziell. Er geht oft über den Familienkreis hinaus und bezieht allerlei politische, religiöse, ethnische, persönliche und sonstige Netzwerke mit ein. Die Solidarität, die hier oft geleistet wird, ist beeindruckend. Nichtsdestotrotz stehen am Ende meist die in gewisser Weise willkürlichen Entscheidungen von Menschen mit einem besseren Status oder deutschen Staatsbürgern, die angesichts des hohen Bedarfs letztlich meist auf der Grundlage von Symphatie gefällt werden. Dieser Sachverhalt zieht sich oft durch alle Lebensbereiche. Im Umgang mit Behörden und den Arbeitgebern wurden bereits Beispiele genannt. Wir möchten deshalb hier nur auf wenige weitere Sachverhalte aufmerksam machen:
Wohnen
Viele Menschen mit Duldung leben nicht in den ihnen zugewiesenen Sammelunterkünften oder PLZ-Bezirken, was unserer Erfahrung nach von den Behörden toleriert, aber natürlich nicht unterstützt wird. Hierdurch werden sie extrem abhängig von Vermietern oder Mitbewohnern, die ihnen Wohnraum zur Verfügung stellen – Insbesondere wenn ihnen vorübergehend finanzielle Mittel fehlen.
Arbeiten
Viele Menschen Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis, was nicht nur ihren Arbeitgebern (oft Privathaushalte mit mehreren und oft sehr jungen Mitgliedern) sondern auch der Nachbarschaft und dem gesamten Bekanntenkreis häufig bekannt ist. Entsprechende Denunziationen wurden uns durchaus bekannt. Auch wenn sie nach unserer Einschätzung angesichts des Ausmasses des Phänomens recht selten sind (was ein bemerkenswerter Indikator für die praktische Zustimmung zur deutschen Rechtssetzung und Verwaltungspraxis ist) und oft folgenlos blieben, wirkt alleine ihre Möglichkeit disziplinierend und demütigend. Der Bedarf an informeller Gesundheitsversorgung wurde an anderer Stelle beschrieben, lässt sich aber auch eingliedern in einen weiteren Bedarf nach psychosozialer “Anteilnahme” und Unterstützung, die oft durch religiös und politisch motivierte Gruppen geleistet wird. Auch hier ist nach unserer Erfahrung eine gewisse Sympathie Voraussetzung.(Durch die Arbeitsrechtliche und Aufenthaltsrechtliche Prekarität wird so insgesamt ein Verhalten erzwungen, das nichteinmal durch “Integration” beschrieben werden kann, sondern durch “Unterwerfung”. Die einzigen Alternativen hierzu stellen dann tatsächlich oft “Paralellgesellschaften”, Kriminalität oder öffentliche Dissidenz dar.)
Anwaltliche Vertretung
Persönliche Sympathie wird regelmäßig auch für das Ausmaß der Bemühungen und die Erfolge der Rechtsanwälte verantwortlich gemacht. Auch hier steht ein immenser Bedarf an Unterstützung begrenzten Kapazitäten und insbesondere finanziellen Mitteln gegenüber. Wer illegal nach Deutschland eingereist ist oder hier illegalisiert wurde, der braucht einen Rechtsanwalt, wenn die Person ihren Status verbessern will. Dies geschieht häufig über ein Asylverfahren. Wer nicht mit dem deutschen Rechts- und Asylrechtssystem vertraut ist, hat nahezu keine Chance, ohne Anwalt einen besseren Status zu erhalten. Eine Person, die unser Projekt begleitet hat und die wir als genuin asylberechtigt betrachten, hat in diesem Zeitraum mit ihrem dritten Asylantrag einen bescheidenen Erfolg gehabt. Nach 13 Jahren politischen Engagements mit prekärem Status in Deutschland konnte sie ihre Gefährdung in einer Art formulieren, wie sie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine andere Wahl ließ, als einen Abschiebeschutz zu gewähren. Viele AnwältInnen mit dem Schwerpunkt Asyl- und Ausländerrecht handeln (auch) aus einer idealistischen Motivation heraus. Dennoch müssen auch sie abwägen, welche Fälle sie quasi umsonst, sehr günstig oder mit finanziellem Gewinn bearbeiten. Gängige Praxis der AnwältInnen ist es, mit ihren MandantInnen Ratenzahlungen zu vereinbaren. Zugleich brauchen zum Beispiel viele ehemalige AsylbewerberInnen, die sich nun aufgrund einer Duldung im Stuttgarter Raum aufhalten, nahezu monatlich anwaltlichen Rat, verstärkt im Zuge der Bleiberechtsregelung. Dies macht natürlich eine Abrechnung entsprechend der Gebührenordnung äußerst kompliziert und – insbesondere wenn idealistische Motive hineinspielen – auch willkürlich. So haben die Betroffenen häufig den Eindruck, sie hätten einen Anwalt, dem sie monatlich z.B. 30 Euro auszahlen und der dafür alles für sie erledigt. Dies ist häufig eine zutreffende Beschreibung. Wir haben aber über solche Mandantenverhältnissen auch solche und ähnliche Aussagen gehört:
“Dann hat der Anwalt gesagt, für eine Arbeitserlaubnis müsste ich nochmal 100 Euro bezahlen. Er hat auch gesagt, dass ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen würde, dafür müssten wir aber vor Gericht gehen und das würde insgesamt mindestens 1500 Euro kosten”.
Das ist nachvollziehbar und lässt sich auch legal begründen. Ein anderer Fall, in welchem sich Anwalt und Mandant offensichtlich zerstritten hatten, mag aber die ungeheure Problematik solcher Abhängigkeitsverhältnisse verdeutlichen. Der Betroffene brauchte dringenden Rechtsbeistand weil er als Kraftfahrer nach einem Arbeitsunfall aus anderen Gründen trotz bestehendem Arbeitsvertrag seine Arbeitserlaubnis verlor. Sein Anwalt verweigerte diesen Beistand mit dem Verweis auf die ausstehenden Zahlungen des Mandanten. Mit derselben Begründung verweigerte er aber auch die Übergabe des Schriftverkehrs mit den Behörden in seinem Fall. Die Schriftstücke zum Asylverfahren seien ihm in Kopie zugegangen, aber der Mandant hat die für ihn damals unverständlichen Briefe bei seinen zahlreichen Verlegungen zwischen Sammelunterkünften verloren. Der weitere Schriftverkehr, der den Aufenthalt aufgrund von Duldung betraf, wurde ihm nicht zugesandt und fand sozusagen lediglich als Gefälligkeit statt. Um den Schriftverkehr zu bekommen und einen anderen Anwalt beauftragen zu können, wurde eine Gesamtabrechnung verlangt, die der Anwalt nur widerwillig und mit einiger Verzögerung zustellte. Diesem zu Folge waren all die Zahlungen nach Abschluss des (erfolglosen) Asylverfahrens lediglich Abschlagszahlungen auf eine Forderung von mehreren Tausend Euro, welche gerade die Zinsen ausglichen. Der Schriftverkehr seit dem stellt sozusagen eher eine Gefälligkeit dar weshalb der Anwalt zu seiner Weiterleitung an den Betroffenen nicht verpflichtet gewesen sei. Um Also in der aktuellen Notsituation Rechtsbeistand zu erhalten, der über den Fall umfassend informiert ist, muss der Mandant nun – unerwartet – mehrere Tausend Euro an seinen ehemaligen Anwalt bezahlen, nachdem er ihm jahrelang monatliche Zahlungen überwiesen hat.
Sachleistungen
Durch die Einführung von Essenspaketen oder auch eines Chipkartensystems, vermindert sich die finanzielle Freiheit Asylsuchender enorm. Nicht alleine, dass sie nicht mehr in Supermärkte ihrer Wahl gehen können um dort einzukaufen, auch die Möglichkeit, mit dem erhaltenen Geld einen Anwalt in Ratenzahlung zu engagieren ist entweder stark eingeschränkt oder aber nicht mehr möglich. Ohne eine anwaltliche Vertretung sind die Erfolgsaussichten in Deutschland Asyl zu erhalten gering. Somit bleibt Asylsuchenden die Möglichkeit Geld aufzutreiben, oder aber eine unentgeldliche Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Beides gestaltet sich relativ schwierig. Somit führt die eingeführte Praxis, AsylbewerberInnen Geld vorzuenthalten zu einer Abhängigkeit von Behörden, zu einer Abhängigkeit vom Geld-/Arbeitgeber und/oder zu einer Abhängigkeit vom Anwalt. Die Asylbewerber haben also die Freiheit zwischen verschiedenen Abhängigkeiten zu wählen, die Situation hat sich für sie aber enorm verschlechtert, da das Vorenthalten von Geldleistungen zu stärkeren Abhängigkeiten führt.